Der 8-Stunden Tag, die Anarchisten und die IWPA: Haymarket und die Radikalisierung der arbeitsrechtlichen Forderungen in den 1880er Jahren

Seit langen schon ist der 1. Mai ein Urlaubstag an dem Sozialdemokraten und die etablierten Gewerkschaften sich in der Öffentlichkeit zeigen und an den Kampf für den 8-Stunden Tag erinnern. Vielleicht ist es zu dieser Gelegenheit einmal interessant zurück zu schauen und einige der Unterschiede zur damaligen US amerikanischen Arbeiterbewegung zu betrachten. Das mag uns zu verstehen helfen, dass die Haymarket-Anarchisten andere Gedanken im Sinn hatten als die sozialdemokratischen Arbeiterführer heute.

Die Forderung für den 8-Stunden Tag existiert seit Anfang des 19. Jahrhunderts. In den Vereinigten Staaten von Amerika wurde die Forderung nach einem 8-Stunden Tag nach einem Generalstreik in Philadelphia im Jahr 1835 erhoben. Dort wurden 10 Stunden minus zwei Stunden für Mahlzeiten eingefordert. Verschiedene Sektoren gelang es den 8-Stunden Tag durch Streiks und Agitation durchzusetzen. In einigen Staaten wurden der 8-Stunden Tag gesetzlich anerkannt. Interessanterweise fand die Hauptschlacht um den 8-Stunden Tag in Chicago statt. Der Staat Illinois hatte im Jahr 1867 den 8-Stunden Tag gesetzlich verabschiedet, doch das Gesetz hatte viele Schlupflöcher und war ineffektiv.

Der 8-Stunden Tag war eine Forderung, die von Gewerkschaften verschiedener politischer Richtungen aufgenommen wurde. So auch von der erste Internationalen IWMA (International Workingmen's Association) im Jahr 1866. Die IWMA hatte Einfluss auf die deutschsprachigen anarchistischen und sozialistischen Einwanderer in Chicago und wurde mit der Zeit zur treibenden Kraft hinter dieser Forderung. Nach der Auflösung der IWMA wurde im Jahr 1881 die International Working People's Association (IWPA) von Anarchisten gegründet und eine große und einflussreiche Gruppe bildete sich in Chicago.

Es ist wichtig festzuhalten, dass die IWPA wirklich eine revolutionäre Organisation gewesen ist. Als sie ihre Arbeit aufnahm war der Kampf für den 8-Stunden Tag für sie eine Art liberale Forderung gegenüber den Kapitalisten. Tatsächlich gab es einige Diskussionen innerhalb der IWP ob die Forderung nach dem 8-Stunden Tag in das Programm aufgenommen wird, wenn doch die Abschaffung der Lohnarbeit und die Vergesellschaftung der Produktionsmittel ihr eigentliches Ziel ist. Einige der führenden Köpfe innerhalb der IWPA waren streng gegen die Forderung. Andere hatten eine differenzierte Perspektive. Darunter der Haymarket-Märtyrer Albert Parsons. Er sah in dem Kampf für den 8-Stunden Tag ein Möglichkeit den Produzenten etwas mehr am Produkt seiner Arbeit zu beteiligen und die Profite des Kapitalisten zu schmälern - vorausgesetzt, der Arbeiter bekommt den gleichen Lohn für einen 8-Stunden wie für einen 10- oder 12-Stunden Tag. Parsons war bereits Mitglied des 8-Stunden Komitees vor der Gründung der IWPA. Letztendlich überdachte die IWPA ihre Position und wurde zur führenden Kraft beim Kampf für den 8-Stunden Tag innerhalb der verschiedenen Gewerkschaften.

Es ist interessant die Art zu vergleichen, wie die verschiedenen Gewerkschaften für den 8-Stunden Tag kämpften. Veröffentlichungen in der anarchistischen Presse dieser Zeit und in anderen Quellen belegen eine Radikalisierung der Forderungen infolge der Agitation durch die IWPA.

Einige Gewerkschaftsföderationen und Assoziationen werden ebenfalls im Zusammenhang mit dem 1. Mai genannt, doch ein genauer Blick zeigt ihre Unterschiede zur IWPA. Im Jahr 1881 wurde die Federation of Organized Trades and Labor Unions of the United States and Canada (FOTLU) gegründet (später dann AFL). Es war die FOTLU, die als erstes den 1. Mai als ein Anfang für den Kampf für den 8-Stund Tag oder ersten Tag eines Generalstreiks vorschlug. Anarchistische Zeitschriften berichten allerdings, dass die FOTLU nach diesem Vorschlag "untertauchte" und nichts für die Kampagne unternahm. Die FOTLU war zu dieser Zeit bereits im Niedergang begriffen; sie verlor Mitglieder an die Knights of Labour und kämpfte um Einfluss.

Die IWPA, die den Kampf für den 8-Stunden Tag aufnahm und zur führenden Kraft in Chicago wurde, hatte einen Ansatz, der sich von denen der anderen Gewerkschaften wesentlich unterschied. Innerhalb der Knights of Labor gab es starke marxistische und sozialistische Einflüsse. Dann gab es Gewerkschafter die anti-sozialistisch waren und neue Assoziationen gründeten, die frei waren von den politischen Elementen der radikalen Gewerkschaften. Im Jahr 1870 versuchten Samuel Mompers und Adolf Strasser die Cigar Makers' International Union radikal zu verändern. Als Folge dieses Versuchs wurde Gompers nicht mehr als Gewerkschaftspräsident wiedergewählt und an seine Stelle trat ein Sozialist. Gompers vertrat die Ansicht, dass es Sozialisten nicht gestattet sein sollte Gewerkschaften zu bilden. Er wandte sich gegen die sozialistische Forderung nach Militanz um Verbesserungen für die Arbeiter zu erwirken. Bald darauf gründeten Gompers und Strasser die FOTLU mit dem Ziel die Arbeiter weg vom Sozialismus in eine andere Richtung zu führen.

Neben ihrer unterschiedlichen Haltung gegenüber dem Sozialismus gab es auch unterschiedliche Ansichten darüber wofür eine Gewerkschaft da sein sollte. Gompers wollte Gewerkschaftsmitgliedschaft auf wenige qualifizierte Facharbeiter begrenzen. Währen die meisten Gewerkschaften dieser Tage sich darüber stritten, ob unqualifizierte Arbeiter, Frauen oder Ausländer dazu berechtigt sind Gewerkschaften zu bilden, hatte die IWPA einen ganz anderen Ansatz. Tatsächlich war es ihrem unermüdlichen Aktivismus und ihrem Engagement innerhalb weiter Teile der Arbeitnehmerschaft geschuldet, dass die IWPA rasch zur treibenden Kraft hinter der Forderung für den 8-Stunden Tag wurde.

Die organisatorischen Unterschiede lassen sich an den Aktivitäten vor dem 1. Mai 1886 erkennen. Im April 1886 fanden in Chicago zwei große Ereignisse statt. Die Knights of Labor organisierten ein Event am 10 April und die IWPA gemeinsam mit der CLU eines am 25. April. Obwohl man sagen kann, dass diese beiden Ereignisse für die "gleiche Sache" waren, so sahen sie doch völlig unterschiedlich aus.

Die Knights of Labor unterstützten nicht die Forderung der IWPA nach einem 8-Stunden Tag bei gleichbleibendem Lohn. Während die IWPA auf ihren Demonstrationen "8-Stunden Tag für 10 Stunden Lohn!" propagierte, vertraten die Knights of Labour lediglich 8 Stunden Lohn für 8 Stunden Arbeit. Die Knights of Labor und nahezu alle anderen Arbeiterorganisationen schätzten die Forderung der IWPA als zu radikal ein.

Ein weiterer Unterschied zeigt sich daran, wie die beiden Veranstaltungen im April abliefen. Die Knights of Labour veranstalteten einen Indoor-Event, gemeinsam mit der Handelskammer. Rund 7000 Menschen nahmen daran teil. Sie saßen dort und lauschten brav den Sprechern. Die überwiegende Mehrheit der Anwesenden kam aus England oder Irland und das Treffen wurde in Englisch abgehalten. Demgegenüber waren 80% der Arbeiter in Chicago Einwanderer. Frauen und Farbige fehlten auf der Versammlung der Knights of Labor vollständig.

Im Gegensatz dazu machte die IWPA große Fortschritte darin eingewanderte Arbeiter zu organisieren. Bei ihnen gab es wöchentliche und später dann tägliche Treffen zum 8-Stunden Tag. Die Treffen wurden in Deutsch, Tschechisch, Polnisch, Jiddisch, Norwegisch, Dänisch und Schwedisch abgehalten. Am 25. April 1886 kamen dann 25.000 Arbeiter zu der Demonstration in Chicago, zu welcher die IWPA und die CLU aufgerufen hatte. Es hätte kaum anderes aussehen können als die Versammlung zwei Wochen davor. Es war Ostersonntag. Die Tatsache, dass an diesem Tag demonstriert wurde, irritierte einige der anderen Gewerkschaften, da bei ihnen regelmäßig religiöse Führer auf den Veranstaltungen sprachen. Die Demonstration hatte neben der Forderung für den 8-STunden Tag radikale Slogans. Es gab eine Reihe atheistischer Banner und der Spruch "No god, no masters!" erschien. Die Zeitungen verurteilten die Demonstranten als ein Haufen Kommunisten von denen keiner anglo-amerikanischen Ursprungs war. Das war eine Übertreibung, doch es ist wahr, dass die meisten Beteiligten aus dem Ausland kamen und die Demonstration in mehreren Sprachen abgehalten wurde.

Am 25. April, während der Demonstration, war die FOTLU damit beschäftigt eine neue Konföderation mit den Knights of Labor zu schmieden. Samuel Gompers war der festen Überzeugung mit den radikalen Kräften klar Schiff machen zu müssen. Im Mai 1886, zwei Wochen nach den Polizeiausschreitungen am Haymarket, trafen sich die beiden Organisationen zu Verhandlungen. Der 4. Mai war ein wichtiges Datum für den Fortgang der Entwicklungen. Die American Federation of Labor (AFL) wurde geboren.

Die Hinrichtung der Haymarket-Märtyrer und die starke Repression gegen Anarchisten nach dem 4. Mai jedoch, führten zum Niedergang der IWPA.

Heute, all die Jahre später, können wir uns über die Ziele, die von der IWPA erreicht worden sind, sehr glücklich schätzen. Die IWPA organisierte alle Arbeiter, vor allem diejenigen, die in den anderen Gewerkschaften nicht aufgenommen wurden und sie folgte stets ihrer Vision von der sozialen Revolution. Die sozialdemokratischen Gewerkschaften können uns heute, genau so wenig wie damals, davon überzeugen, dass wir für die "gleiche Sache" kämpfen, denn wir wissen genau, wo zwischen uns Unterschiede bestehen.

Quelle: The 8 Hour Day, the Anarchists and the IWPA: Haymarket and the Radicalization of Labour Demands in the 1880s
Übersetzung: fauffm33

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